Hamburg, 12-09-2022 – Wie schnell sich die Zeiten ändern: Die letzte MS&D – im Rahmen der SMM Digital 2021 – war noch von der Sorge über die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen auf die Einsatzfähigkeit der Marinen geprägt. In diesem Jahr stand die hochkarätig besetzte Konferenz dagegen ganz im Zeichen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und die künftige Verteidigungsstrategie der NATO.
In Anbetracht der aktuellen politischen Lage verwies Bernd Aufderheide, Geschäftsführer der Hamburg Messe und Congress (HMC), in seiner Begrüßungsrede denn auch auf den treffenden Begriff „Zeitenwende“, den Bundeskanzler Olaf Scholz, Schirmherr der 30. Ausgabe der SMM, kurz nach Kriegsausbruch prägte.
Vor einer Zäsur stand auch der MS&D: Zum letzten Mal führte Jan Wiedemann, der Mitherausgeber des SMM-Kooperationspartners „Naval Forces“, als Chairman durch die zweitägige Veranstaltung. Ihm sprach Messechef Aufderheide seinen besonderen Dank aus. „Herr Wiedemann hat dank seiner Expertise und seinem engen Draht zu den wichtigen Akteuren der Branche ganz wesentlich zum Erfolg der Konferenzreihe beigetragen.“
Keynote-Speaker Dr. Martin Kröger, Geschäftsführer des Verbands Deutscher Reeder (VDR), verdeutlichte anschließend die unverzichtbare Rolle der Handelsschifffahrt: „Sie hält nicht nur den Welthandel am Laufen, sondern sichert auch die Lebensmittelversorgung und Treibstoffversorgung rund um den Globus“. Am Beispiel einer Schiffsreise von Asien nach Europa zeigte Kröger auf, wie anfällig das maritime Transportbusiness für externe Ereignisse ist und welchen vielfältigen Gefahren es ausgesetzt ist. Ob Crewwechselprobleme infolge der Coronakrise, gestörte Lieferketten, Piratenangriffe auf Schiffe, Cyberattacken auf die Bord-IT oder kriegerische Auseinandersetzungen wie aktuell in der Ukraine – die Liste der Risiken ist lang. Krögers Fazit: „Wir müssen uns diesen Heraufforderungen mit vereinten Kräften entgegensetzen.“
Die Dimensionen moderner Kriegsführung
Die aktuell wohl größte Herausforderung machte der erste Speaker, Egon Ramms, zum Thema. Der Bundeswehrgeneral a.D. und Ex-NATO Kommandeur präsentierte eine präzise Chronologie des Ukrainekriegs vom ersten Kriegstag am 24. Februar 2022 bis zur aktuellen Lage. Er warnte vor militärischen Interventionen Russlands in andere ehemalige Sowjetrepubliken. Als möglichen Vorwand könnte der Kreml auf den „Schutz der russischsprachigen Minderheiten“ verweisen.
Ramms richtete einen eindringlichen Appell an die Politik, die Ukraine politisch zu unterstützen und militärisch mit den notwendigen schweren Waffensystemen zu versorgen: „Ukrainische Streitkräfte verteidigen westliche Werte und Freiheit. Es ist wichtig, sie dabei zu unterstützen, die von Russland eingenommen Gebiete im Donbass zurückzuerobern.“
Über gefährliche europäische „Kriegserben“ sprach dann Knut Baumann von thyssenkrupp Marine Systems: Schätzungsweise 300.000 Tonnen Munition aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg rotten allein in der Ostsee vor sich hin; 1,3 Millionen Tonnen sind es in der Nordsee. Sie bilden eine wachsende Bedrohung für das Unterwassersökosystem und damit auch für die Nahrungskette. thyssenkrupp Marine Systems und die Unternehmenstochter Atlas Elektronik wollen dabei helfen, diese gefährlichen Zeitbomben unschädlich zu machen. Dabei kommen autonome Unterwasserroboter (RUVs) und eine Entsorgungsplatform zum Einsatz, auf der die Munitionsreste umweltfreundlich mittels Hydro-Destruction-Verfahren entsorgt werden können.
Eine ganz andere Gefahr, die am Meeresboden lauert, erläuterte Patrick O‘Keeffe vom Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK). „95 Prozent des globalen Datenverkehrs verlaufen über Unterseekabel.“ Er beschrieb unter anderem jüngste Beobachtungen besorgniserregender Manöver von russischen Spezial-Schiffen in unmittelbarer Nähe zu einem Unterseekabelknotenpunkt vor der Küste Irlands. „Technisch wäre es durchaus möglich, die Kabel anzuzapfen oder zu manipulieren“, so O’Keeffe, der in seinem Vortrag „Cybersecurity in naval operations“ insbesondere die wachsende Anfälligkeit von Cyberattacken infolge des steigenden Vernetzungsgrades und des zunehmenden Datenverkehrs in den Marinen aufzeigte.
Maritime Brandherde im Fokus
Das zweite Panel befasste sich mit aktuellen und potenziellen militärischen Brandherden außerhalb Europas, vor allem dem Indo-Pazifik. So ist etwa Taiwan aufgrund seines direkten Zugangs zur Tiefsee „von höchstem militärischem Interesse für China“, so Dr. Sarah Kirchberger. Die Abteilungsleiterin Strategische Entwicklung in Asien-Pazifik beim ISPK veranschaulichte in ihrem Vortrag den beeindruckenden Ausbau der chinesischen Marine. Laut Kirchberger hat die Volksrepublik zwischen 2014 und 2018 das Äquivalent der gesamten japanischen Marineflotte in Dienst gestellt – immerhin die viergrößte Marineflotte der Welt.
Wie sich eben jene japanischen Seestreitkräfte gegen die wachsenden Bedrohungen durch China aber auch andere Nachbarländer wie Russland und Nord-Korea wappnen, darüber gab der frühere deutsche Verteidigungsattaché Tokio, Kapitän zur See a. D. Joachim Gutow Auskunft: „Die Japaner haben ihre Streitkräfte in den letzten Jahren erheblich modernisiert – darunter Kampfjets, Hubschrauber und die U-Bootflotte. Außerdem wurde eine neue Generation unbemannter Schiffe entwickelt.“ Das Ziel: Japan will seine Verbündeten im Pazifikraum künftig stärker unterstützen – die neue militärische Philosophie bedeutet gleichzeitig eine Zäsur in Japans pazifistischer Nachkriegsgeschichte.
Warum sich die aktuellen politischen Konflikte mit Russland und China künftig sogar bis in die Arktis ausweiten können, erklärte Dr. Ian Anthony vom Stockholmer Friedensinstitut SIPRI. Zum Abschluss des zweiten Panels warf Hanno Teuteberg, Konteradmiral a. D. und Stellvertretender Chef der südafrikanischen Marine, einen Blick auf die maritime Sicherheitsarchitektur des afrikanischen Kontinents. Zur wichtigsten Initiative der Zukunft zählt dabei – so Teuteberg - die African Integrated Maritime Strategy (AIMS 2050) – eine multinationale Charta, die 2016 von insgesamt 34 afrikanischen Staaten verabschiedet wurde.
Schutzschirme gegen Angriffe von See, Land und aus dem All
Mit den maritimen Aufgaben vor der eigenen Haustür startete am zweiten Tag das dritte Panel „Littoral operations & harbour security“. Kapitän zur See Thorsten Mathesius vom NATO Centre of Excellence for Operations in Confined and Shallow Waters erläuterte in seinem Vortrag die besonderen Herausforderungen von Einsätzen in küstennahen Gewässern und dem Schutz kritischer Infrastrukturen. Wie z.B. sichert man den Nord-Ostsee-Kanal, eine der strategisch wichtigsten Wasserstraßen Nordeuropas? Hier sei vor allem eine enge Abstimmung zwischen den Streitkräften und zivilen Einrichtungen wie Behörden sowie klare Zuständigkeiten und Kompetenz-Zuweisungen notwendig. In welcher Weise Deutschland bzw. die Bundeswehr innerhalb der NATO und EU Flagge zeigt, erläuterte Flottillenadmiral Stephan Haisch, der stellvertretende Kommandeur des Maritime Forces Staff (DEU MARFROR), einem militärischen Führungs- beziehungsweise Einsatzstab mit Sitz in Rostock. DEU MARFOR – gegründet 2016 – plant, unterstützt und führt multinationale maritime Manöver und Operationen. In Krisenzeiten können zum Beispiel NATO oder EU den Stab als maritimes Hauptquartier aktivieren, um multinationale Flottenverbände zu befehligen. Die Deutsche Marine betritt mit diesem „Leuchtturm-Projekt“ Neuland. Haisch erläuterte den aktuellen Stand des DEU MARFOR-Entwicklungs- und Akkreditierungsprozesses sowie die Herausforderungen und Chancen der neuen Koordinierungsstelle. Eine zentrale Hafenschutz-Schaltstelle, bei der im Ernstfall alle Fäden zusammenlaufen, forderte Josef Traxl von der Eurotec Group. Er skizzierte ein komplexes Verteidigungsszenario für Häfen, in dem unter anderem moderne Sensorüberwachung, Drohnen und unbemannte Schiffe kombiniert werden.
Mit der spannenden Frage, ob und wie man Hypersonic Misslies abwehren kann, die mit mehr als 10-facher Schallgeschwindigkeit ihre Ziele ansteuern, beschäftigte sich Prof. Dr. Wolfang Koch vom Fraunhofer FKIE. Denkbar seien Gegenmaßnahmen wie eine Ablenkung der Flugbahn oder ein lasergesteuerter Angriff auf die explosive Plasmahülle, die solche Waffen umgeben.
Ein Konzept für einen neuartigen Minensuch- und abwehrverband präsentierte Torsten Feist von Naval Vessels Lürssen (NVL). Herzstück ist eine Fregatte mit einem nicht-magnetischem Stahlrumpf, begleitet von unbemannten Unter- und Überwasserfahrzeugen und ausgestattet mit Sonarsuchgeräten sowie Kommunikationsdrohnen. Der Verband wäre damit in der Lage, - Minenabwehroperationen aus sicherer Entfernung („Stand-off Approach“) als auch direkt in Gefahrenzonen („Dedicated Approach“) durchzuführen.
Was die Marine in Zukunft antreibt
Sind klimafreundliche Treibstoffe auch eine Alternative für die Marineschifffahrt? Eine Machbarkeitsstudie von Andreas Junginger, Sales Navy & Governmental (SFNM) MAN Energy Solutions, kommt zu einem klaren Schluss: Ammoniak, Methanol, SNG, Biodiesel und Co. sind derzeit keine Option für die Streitkräfte. Noch überwiegen die Nachteile solcher Treibstoffe.
Mit der Energieversorgung von Marineschiffen beschäftigte sich auch Marko Bischoff, Senior Sales Manager – Naval Surface Vessels, Siemens Energy Marine. Dank moderner Waffen- und Sensorsysteme steigt der Strombedarf an Bord in Zukunft deutlich an. Umso mehr sind leistungsstarke, smarte und agile Lösungen gefragt. Aufgrund ihrer hohen Zuverlässigkeit und der guten Signalqualität sind laut Bischoff Gleichstromaggregate als primäre Versorgungsquelle im Vorteil.
Zum Ende der thematisch gewohnt vielfältigen MS&D erfuhren die Zuschauer in drei Vorträgen, wie unbemannte, ferngesteuerte Systeme zu Wasser und zu Luft die Kriegsführung künftig revolutionieren werden. Den Anfang machte Christian Rücker, Head of Business Development Security and Defence, General Atomics Europe mit seiner Vorstellung des MQ-9B SeaGuardian. Das ferngesteuerte Flugsystem (UAV) lässt sich z. B. zur Luftraumüberwachung, zum Küstenschutz oder zum Aufspüren von U-Booten in die Verteidigungsstrategie nationaler Seestreitkräfte integrieren. „SeaGuardian kann zusätzlich mit Präzisionswaffen ausgestattet werden und ein Seegebiet mindestens 20 Stunden lang durchgehend überwachen“, so Rücker.
Ferngesteuert und vielseitig sind auch die USVs (unbemannte Schiffe) von Aris Shipyard. CEO OzganUtku Alanc. „Unsere Systeme verringern das Risiko bei gefährlichen Einsätzen und können Aufgaben erfüllen, die mit bemannten Plattformen nicht durchführbar sind“. In Friedenszeiten eigneten sich USVs zudem für Küstenschutz-Maßnahmen wie die Abschreckung und Bekämpfung krimineller Aktivitäten als auch für humanitäre Einsätze wie Lebensrettung und zur Brandbekämpfung auf See.
Ein System zum Schutz gegen feindliche Drohnen präsentierte Daniela Hildebrand, Head of Counter-UAS Solutions von ESG Elektroniksystem- und Logistik. Dabei nutzen die Defence-Spezialisten eine Vielzahl von Überwachungssystemen und setzen auf Störsender und Hochleistungselektromagnete sowie Abwehrdrohnen. „Unser GUARDIAN-System erkennt bis zu 80 Prozent der feindlichen Flugobjekte“, so Hildebrand.
Grundsätzlich gilt: Unbemannte Waffenträger werden die Kriegsführung der Zukunft maßgeblich verändern – das wirft zwangsläufig auch rechtliche Fragen auf. Sowohl UAV-Experte Rücker als USV-Konstrukteur Alanc betonten in der abschließenden Diskussionsrunde, dass noch immer nicht geklärt sei, wer beim Einsatz solcher Systeme haftbar ist bzw. gemacht werden kann. Schon heute ist klar: An Themen für die nächste MS&D mangelt es nicht.
Die nächste SMM findet vom 3. bis 6. September 2024 statt.