Digitale Lösungen für das nächste Level der maritimen Industrie

Maritime Future Summit 2022 – Bilanz

Hamburg, 06.09.2022 – „Finally, we are back in the real world“, sagte Claus-Ulrich Selbach, Business Unit Director Maritime and Technology Fairs der Hamburg Messe und Congress, in seiner Begrüßungsrede beim Maritime Future Summit am Montag, den 05.09.2022 im gut gefüllten Tagungsraum „Chicago“ auf dem Hamburger Messegelände. Nachdem das Konferenzprogramm zuletzt pandemiebedingt nur online stattfinden konnte, sei es ein wundervolles Gefühl, die Gäste nun wieder live in Hamburg begrüßen können. Die Aussteller- und Besucherzahlen bewegen sich auf dem Vor-Corona-Niveau. Für Selbach ein klares Indiz für die Sehnsucht der Branche nach persönlicher Begegnung und Austausch.

Traditionell startet der MFS bereits am Vortag der eigentlichen Messeeröffnung, die in diesem Jahr vom 6. bis 9. September stattfindet. Während viele der rund 2000 ausstellenden Unternehmen und Organisationen in den großen Hallen den letzten Feinschliff an ihren Ständen vornehmen, diskutieren beim von der China Classification Society (CSS) gesponserten MFS hochrangige Expert:innen über Chancen und Strategien für die nächste Phase der digitalen Transformation in der maritimen Wirtschaft. „Hochattraktive Einzellösungen, die den Markt effizienter gemacht haben, gibt es viele. Nicht zuletzt die Pandemie mit ihren gravierenden Einschränkungen hat den Innovationsgeist geweckt. Jetzt geht es darum, sich untereinander stärker zu vernetzen und intelligente Allianzen und multidisziplinäre Lösungen zu finden, die uns weiter voranbringen“, sagt Moderator Prof. Dr. Volker Bertram von der World Maritime University. Die Notwendigkeit für den nächsten Innovationsschritt der Branche hat viele Gründe. Covid-19, die Klimakrise, der Krieg in der Ukraine sowie Unterbrechungen der Lieferkette sind nur einige Herausforderungen, die digitale Umwälzungen und nachhaltige Lösungen erforderlich machen. Beispiele für gelungene Kooperationen in jüngster Vergangenheit nannte Krischan Förster, Chefredakteur des HANSA-Magazins und Co-Ausrichter des MFS. So hätten etwa BLOM Maritime und Aveva mit ihren 3D-Scans oder Semcon mit Jotun und ihrer Hull Skating-Lösung (HSS) für die Freihaltung der Rümpfe großer Schiffe von Algenbewuchs gezeigt, welche Kraft in der Kooperation liegt. „Wir sind an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter“, sagte Förster.

 

Panel 1: Connecting Digital Technologies

Im ersten Panel des Tages diskutierten Donya-Florence Amer (CIO, Hapag-Lloyd), Dr-Ing Pierre Sames (Strategic Development Director, DNV), Solène Guéré (Vice President, Notilo Plus) sowie Kenneth Goh (General Manager, Knud E. Hansen) unter dem Titel „Connecting Digital Technologies“ verschiedene Ansätze, wie die anvisierte Vernetzung gelingen kann. Donya-Florence Amer beleuchtete in ihrer Keynote die Macht der exponentiellen Technologien und ihre Auswirkungen auf das Geschäft von Hapag-Lloyd, die Gemeinden und den Planeten. Dabei stellte sie klar: „Wir alle haben gute Voraussetzungen für unser Vorhaben. Denn Menschen lieben nach wie vor den Konsum. Das gibt uns eine verlässliche Sicherheit für Investitionen.“ Bei Hapag Lloyd wird aktuell vor allem in die IT investiert. Bis zu 400 Expert:innen arbeiten bei der Reederei bereits in diesem Bereich, künftig sollen es noch mehr sein. Das Unternehmen suche aktuell nach Fachkräften – digitalaffine und innovationsgetriebene Menschen aus aller Welt. „Denn der Wandel, den wir durchlaufen, ist kein technologischer. Die Technik ist längst da. Der Wandel ist ein kultureller. Und das bedeutet: Wir brauchen ein gewisses Mindset.“ Ihren Vortrag schloss Amer sie mit einem positiven Ausblick: „Das Schöne an unser aller Herausforderung ist, dass wir alle ein gemeinsames Ziel haben: das Klima zu schützen. Diese Nachhaltigkeitsorientierung wird weitere Kräfte freisetzen und Kooperationen – auch mit Partnern außerhalb unserer Branche – fördern.“

Pierre Sames von DNV stellte in seinem Vortrag vor, wie digitale Technologien die Inspektion von Schiffsrümpfen erweitern und verbessern können. Auf der Grundlage von mehr als einer Dekade Forschung und Entwicklung hat DNV Drohnenuntersuchungen in seine Vermessungen zur Beurteilung der Struktur und der Beschichtung im Schiffinneren integriert. „Wir nutzen 3D-Modelle der Schiffsrümpfe und können so den Drohnenflug perfekt planen. Die Drohnenbilder werden in bester Qualität und in Echtzeit gestreamt. Es ist so, als sei man selbst an Ort und Stelle. So können Nutzer dieser Technik sicherer, günstiger und verlässlicher Daten sammeln und Entscheidungen treffen.“ Der Einsatz dieses Verfahrens wird schrittweise ausgerollt. „Nicht alle Schiffstypen kommen dafür infrage. Wir beobachten die Entwicklung sehr genau“, so Sames.

Interessant auch die Einblicke, die Solène Guéré in die Arbeit von Notilo Plus gab. Das vergleichsweise junge französische Unternehmen ist spezialisiert auf Unterwasser-Roboter, mit denen sich hochwertige, datengestützte und konsistente Unterwasserinspektionen durchführen lassen. Notile Plus hat Drohnen mit Automatisierungsfunktionen konzipiert, die – ausgestattet mit einer hochauflösenden Kamera und leistungsstarken Scheinwerfern sowie zusätzlichen Sensoren – als ferngesteuertes Fahrzeug verwendet werden können. „Unser Ziel war es, den Tauchern eine einfach zu bedienende Lösung zu bieten, die zuverlässige und qualitativ hochwertige Daten an die Oberfläche bringt: lokalisierte Bilder, stabile Bilder, konsistente Abstände zum Schiffskörper“, sagt Guéré.

Kenneth Goh, Geschäftsführer beim dänischen Schiffsdesign-Unternehmen Knud E. Hansen, beschäftigte sich in seinem Vortrag mit der Frage, wie man Design verständlich kommunizieren kann. Auf Grundlage neuester neurobiologischer Erkenntnisse zeigte er, welche Rolle Virtual Reality in multinationalen Designprojekten spielen kann, um Menschen, Ideen und Technologien zusammenzubringen. „Bislang nutzen wir das Potenzial dieser Technologien noch nicht vollständig aus. In weiten Teilen der Branche gibt es immer noch eine gewisse Bequemlichkeit und falsche Traditionstreue“, sagt Goh und ermutigte insgesamt zu mehr Innovationsmut. In seiner Schätzung werde es noch zehn bis 20 Jahre dauern, bis VR Branchenstandard werde. 

 

Panel 2: Connecting Data to Move Ahead

Im zweiten Panel des Tages, das mit Ma Jilin (Director of Intelligent Technology and Safety Laboratory bei CSS), Ludmila Seppälä (Director Business Development Marine Industry bei Cadmatic), Sean Fernback (CEO, Wärtsilä Voyage) sowie Patrick Müller (Business Owner Digitalization, Siemens Energy Marine) ebenfalls hochkarätig besetzt war, sprachen die Teilnehmer:innen über konkrete Maßnahmen zur Beschleunigung der Digitalisierung im Markt.

Ma Jilin, Director of Intelligent Technology and Safety Laboratory bei CSS, präsentierte in seinem Vortrag den Status Quo aus asiatischer Perspektive. „Vor 2020 hat sich der asiatische Markt wenig mit diesen Fragen beschäftigt. Die Pandemie hat aber eine regelrechte Explosion ausgelöst“, so Jilin. Dabei müsse das Rad nicht immer neu erfunden werden. Manchmal helfe auch der Blick in benachbarte Branchen wie Raumfahrt oder Automobilindustrie.

Wie stark sich die Branche in den letzten Monaten bereits entwickelt hat, zeigte auch Ludmila Seppälä, Director Business Development Marine Industry bei Cadmatic. Das Unternehmen verwendet für die Schiffskonstruktion 3D-Modelle, die als digitale Zwillinge von Schiffen fungieren. Dabei fließen die Informationen nicht nur vom digitalen Asset (3D-Modell) in die physische Welt, sondern auch zurück, wo Informationen aus der Werft und der Produktion mit dem digitalen Modell verschmelzen. „Die Benutzer können auf all diese Daten zugreifen, indem sie neueste Visualisierungstechnologie nutzen und alle benötigten Daten bei Bedarf extrahieren“, so Seppälä. Bei allen Hoffnungen, die auf Künstlicher Intelligenz liegen, betonte sie jedoch auch den Stellenwert menschlicher Intelligenz: „Wenn es um Visonen geht, kann uns KI nicht helfen. Das ist und bleibt unser Job.“

Eine Einschätzung, die auch Sean Fernback, CEO von Wärtsilä Voyage, teilt. Die maritime Branche gehöre im Branchenvergleich zu den „Digital Laggards“, den digitalen Nachzüglern. „Wir müssen als Branche besser darin werden, unser Wissen zusammenzuführen. Das würde uns allen einen zusätzlichen Push geben“, so Fernback. Die SMM sei dafür eine willkommene Gelegenheit. „Ich freue mich sehr auf die vielen Kolleg:innen, von denen ich viele hier zum ersten Mal live treffen werde. Auch diese Messe wird der Branche einen Schub geben.“

Auch Patrick Müller (Business Owner Digitalization bei Siemens Energy Marine) unterstrich den Stellenwert der SMM. „Wir reden viel über Vernetzung und Kooperation, um Digitalisierung voranzutreiben. Hier in Hamburg kann man all diese Insellösungen bestaunen, sich austauschen und direkt Verträge schließen. Genauso wie sich die Branche seit der letzten SMM modernisiert hat, wird sie es auch diesmal wieder tun. "