Hamburg, 08.09.2022 – „‘Driving the maritime transition‘“ ist bekanntlich das Leitmotiv dieser 30. Ausgabe der SMM. Und das ist in diesen Zeiten mehr als ein bloßer Claim: Es ist die große Herausforderung, vor der die gesamte Branche steht“, sagte Claus-Ulrich Selbach, Business Unit Director Maritime and Technology Fairs der Hamburg Messe und Congress, in seiner Begrüßungsrede beim gmec am zweiten Messetag. Klar sei: Die Transition der maritimen Wirtschaft, insbesondere der Wandel von fossilen zu klimafreundlichen Antrieben, müsse schnell gehen, so Selbach.
Diese Meinung teilte auch die Maritime Koordinatorin der Bundesregierung, Claudia Müller. In ihrer Keynote-Rede betonte sie, dass die Schifffahrt ambitionierter sein könnte – und sollte. „Es gibt einen Call-to-Action von den Reedern. Wir haben jetzt alle das gleiche Ziel: die Dekarbonisierung so schnell wie möglich (We are now all clear on the same target: to decarbonize as quickly as possible).” Hohe Energiekosten, die mangelnde Verfügbarkeit alternativer Treibstoffe und der nachhaltige Umbau der aktuellen Flotten seien große Herausforderungen, die es zu meistern gilt. Dafür brauche es strengere Regularien – vor allem auf internationaler Ebene, forderte sie in Richtung IMO.
Worte, die Kitack Lim, Generalsekretär der Weltschifffahrtsorganisation, nachvollziehen konnte. Er erinnerte aber auch an die schwierige Ausgangslage, in der sich die IMO befinde: „Wir haben 175 Mitgliedsstaaten. Gemeinsam arbeiten wir hart an der Überarbeitung der Strategie, aber wir müssen einen Kompromiss finden, damit jedes einzelne Mitglied an Bord ist", sagte Lim. („We have 175 member states. Together we are working hard into revise strategy, but we need to find a compromise, so that every single member is on board”)
Wasserstoff und der Energiemix der Schifffahrt/ Hydrogen and the shipping energy mix
Craig Eason, Editorial Director des Onlineportals „Fathom World“, führte durch die insgesamt fünf Panels des gmec. Gesponsert wurde die Veranstaltung durch das American Bureau of Shipping (ABS). Georgios Plevrakis, Vice President of Global Sustainability der US- Klassifikations-gesellschaft, war im ersten Panel vertreten. Hier ging es um die Anwendung von Wasserstoff in der Schifffahrt. Welche Risiken die Technologie birgt, schaut sich ABS derzeit ganz genau an: „Unsere Branche kennt keine ‚lingua franca‘. Für uns als Klassifizierungsgesellschaft ist Sicherheit kein verhandelbares Gut – das braucht Zeit. Aber wir haben in einem Jahr große Fortschritte gemacht. Es geht schneller voran als gedacht.“ Plevrakis verwies dabei auch auf die weltweite Infrastruktur: Es bringe nichts, wenn ein Schiff mit Wasserstoff in Europa losfahre und in Afrika dann nicht tanken könne. „Wir müssen die ganze Welt im Blick haben“.
Luftfahrt, Schifffahrt, Straßenverkehr: Es wird weltweit aus unterschiedlichsten Branchen einen enormen Run auf E-Fuels geben. Claudia Müller setzt hier auf die hohen Zubauraten von erneuerbaren Energien. Wichtig sei dabei, für einheitliche Wettbewerbsbedingungen („Level Playing Field“) Luftfahrt, Schifffahrt, Straßenverkehr: Es wird weltweit aus unterschiedlichsten Branchen einen enormen Run auf E-Fuels geben. Claudia Müller setzt hier auf die hohen Zubauraten von erneuerbaren Energien. Wichtig sei dabei, für einheitliche Wettbewerbsbedingungen ("Level Playing Field") zu sorgen – insbesondere, was die Entwicklungsländer angeht. "Wir müssen sie als Partner sehen - nicht - nicht als Supplier", mahnte sie. "Die Frage, die wir uns - auch über die Schifffahrt hinaus - stellen müssen: Wo kann ich welchen Energieträger am sinnvollsten für Brennstoffzellen und komplett katterieelektrische Antriebe.
Als grüner Vorreiter gilt der Hafen von Rotterdam. In den nächsten zehn Jahren sollen die CO2-Emissionen halbiert werden. Eine Schlüsselrolle spielt Wasserstoff: „Bis 2030 arbeiten wir an einer Offshore-Windkraftkapazität von 7,4 GW, die im Rotterdamer Hafen anlanden wird und dann von Unternehmen zur Elektrifizierung, aber auch beispielsweise zur Wasserstoffproduktion genutzt werden kann”, sagte Eric van der Schans, Director Environmental Management beim Port of Rotterdam. Sorge machten ihm die unklaren Vorgaben der Politik: „Manche Bereiche in unserem Hafen sind sehr nah an Wohngebieten. Wir müssen Gewissheit haben, dass die neuen Brennstoffe sicher sind – zum Schutz der Anwohner, aber auch, um den Reedern eine zuverlässige Infrastruktur bieten zu können.“
Den Übergang zur Kohlenstofffreiheit meistern/navigating the zero-carbon transition
Das zweite Panel startete mit einem Coup: Peter Wolf, Managing Director bei CMA CGM, gab bekannt, dass die französische Reederei einen auf fünf Jahre angelegten Investitionsfonds in Höhe von 1,5 Milliarden US-Dollar für die maritime Energiewende angelegt hat. Zum Vergleich: Ein vom Weltreederverband ICS angeregter Fonds hätte über die Jahre auch nur fünf Milliarden Dollar angesammelt. „Die maritime Transition ist ein Marathon. Unsere LNG-Schiffe waren ein erster Schritt. Nun folgen viele weitere“, so Wolf. Dabei spiele auch Bio-Methanol eine große Rolle.
Elizabeth Munck af Rosenschöld, Sustainability Managerin bei IKEA, begrüßte das Engagement von CMA CGM. „Je mehr wir tun können, um den Übergang zu beschleunigen, desto besser", sagte sie. „Für unsere Kunden wird das Thema Nachhaltigkeit immer wichtiger. Deswegen haben wir uns das Ziel gesetzt, bis 2030 klimaneutral zu sein. Das gilt dann auch für den Transport“, so Munck af Rosenschöld. Das sei eine Herausforderung, „aber der Klimawandel wartet nicht.“ Der schwedische Möbelgigant habe großen Einfluss – den wolle man nutzen, um die Dekarbonisierung voranzutreiben.
Viel öffentlichen Druck bekommt die Kreuzfahrtindustrie: „Dabei hat sie sich verpflichtet, bis 2050 CO2-neutral zu sein – damit sind wir schneller als die IMO“, betonte Helge Grammerstorf, National Director des Kreuzfahrtverbands CLIA Deutschland. Man dürfe nicht vergessen, dass viele Kreuzfahrtunternehmen an technischen Innovationen maßgeblich beteiligt sind. „Die AIDAnova war
2018 weltweit das erste Kreuzfahrtschiff mit LNG-Antrieb. Das ist Pionierarbeit.“ Nun gilt es, in Sachen Infrastruktur und Brennstoff das Henne-Ei-Problem zu lösen. Hier könne globale Regulierung helfen, so Grammerstorf.
Für Torgeir Sterri, Regional Manager West Europe von DNV, ist klar, dass es keine „One-fits-it-all-fuel“-Lösung gibt. „Zusammenarbeit ist der Treibstoff der Zukunft“ („Cooperation is the fuel of the future”), sagte Sterri. In Pilotprojekten müsse man sich verschiedene Kraftstoffoptionen ansehen. Den Klassen kommt dabei eine besondere Verantwortung zu: „Wenn die Politik keinen verpflichtenden Rechtsrahmen aufsetzt, müssen wir Auflagen entwickeln, um die Unfallgefahr zu begrenzen – die Sicherheit eines Kraftstoffes ist entscheidend.“ Sterri spielte dabei auf einen Vorfall in Norwegen an, wo 2019 eine Wasserstoff-Tankstelle explodierte. „Die anschließenden Diskussionen haben die Wasserstoff-Entwicklung um fünf Jahre zurückgeworfen. So etwas müssen wir durch klare Vorgaben vermeiden.“
Förderung von grünen Schifffahrtsinnovationen/ Nurturing green shipping innovation
Vertrauen und Transparenz: Das sei das Geheimrezept, um Innovationen effektiv zu fördern, sagte David Connolly, Chief Technologist von Silverstream, im dritten gmec-Panel. Eine Prise Geld dürfe aber nicht fehlen. Silverstream hat ein air lubrication system entwickelt, das die Reibung zwischen Schiff und Wasser reduziert – und so Brennstoff einspart. Das britische Unternehmen wird von privaten Investoren unterstützt. Wichtig ist, dass alle Projektpartner „skin in the game“ haben, also risikobeteiligt sind. Investoren dürften dabei nie vergessen, dass es auch mal Misserfolge gebe. Innovationen müssen die Chance bekommen, weiterzulaufen.
Einen Blick aus Klassenperspektive warf Chakib Abi Saab, Chief Technology and Innovation Officer von Lloyd‘s Register, auf das Thema: „Wir müssen ehrlich sein: Die Investoren wollen Geld verdienen. Wir müssen einen Weg finden, um die Energiewende finanziell attraktiv zu machen.“ Ein großer Teil der maritimen Industrie habe nicht das Geld, um die Schiffe in eine grünere Version umzuwandeln. Die Branche brauche Standardisierung – daran arbeite LR hart.
Octavi Sadó Garriga zollte Pionieren und First-Movern Respekt: „Sie leisten ‚Climate Leadership‘ für uns. Es geht ja nicht nur um die Kraftsoff-Einsparungen, sondern auch um die Lernprozesse. Ändert sich etwas für die Besatzung? Wie wird das System am besten installiert?“ Der Ship Design Manager arbeitet für das Mærsk Mc-Kinney Møller Center for Zero Carbon Shipping, eine Non-Profit-Organisation, die die Energiewende vorantreiben will. Die Gründungspartner hinter dieser Initiative sind die renommierten Player ABS, A.P. Møller – Mærsk, Cargill, MAN Energy Solutions, Mitsubishi Heavy Industries, NYK Line und Siemens Energy.
Windantrieb – die Zeit ist reif / Windpropulsion – the time is now
Die Schifffahrt hat einst mit Segeln begonnen. Doch die heutige maritime Industrie müsse sich die Technologie noch einmal neu anschauen, sagte Cristina Aleixendri, die Co-Founderin von
Bound4Blue, im vierten Panel. „Die Branche ist zu sehr auf grüne Kraftstoffe fokussiert. Aber es gibt andere nachhaltige Antriebslösungen. Wind als Energiequelle ist frei verfügbar – warum sollte man sich das nicht zunutze machen?", fragte Aleixendri. Mit den automatisierten Windsegeln ihres spanischen Start-ups könnten Schiffe schon heute erheblich Treibstoff einsparen.
Ganz praktische Einblicke konnte Johann Boosma, Miteigentümer von Boomsma Shipping, den Konferenzteilnehmern geben. Seine Reederei hat zwei Windsegel auf dem Stückgutfrachter „MV Frisian Sea“ installiert. Treibstoffersparnis: fünf Prozent.
Insgesamt 21 Schiffe mit Segeln sind derzeit auf den Weltmeeren unterwegs. „Bis Ende des Jahres werden es 25 sein – das ist wichtig für unsere Database-Performance“, sagt Gavin Allwright, Generalsekretär der International Windship Association (IWSA). „So haben wir viele unterschiedliche windunterstützte Schiffe: „Die Reeder sehen dann, dass die Technologie wirklich etwas bringt.“ Viele wissen wenig über Wind als Hilfsantrieb. „Er ist etwa keine Schubkraft, sondern eine Saugkraft", so Allwright. Prof. Dr .Orestis Schinas vom Beratungsunternehmen HHX. Blue sieht darin den richtigen Weg: „Für Reeder ist Effizienzsteigerung das Zauberwort. Damit bekommt man sie dazu, nachzurüsten.“ Auf ihn kämen häufig umbaubereite Reeder zu – und fragten nach konkreten Zahlen.
The NGO debate – is shipping doing enough to decarbonize?
„Wenn wir wüssten, wie wir das bis morgen schaffen können, würden wir es tun“, versprach Lars Robert Pedersen, Vizegeneralsekretär von BIMCO. Im fünften und letzten Panel traf ein NGO-Vertreter auf die Größen der maritimen Industrie. Die breite Öffentlichkeit konnte erstmals daran teilnehmen. Dabei war sich Daniel Chatterjee, Director Technology Management & Regulatory Affairs von Rolls Royce, sicher, dass es nicht an den Zulieferern liege; die Technologie sei bereits soweit. „Die maritime Industrie ist von Dampf auf Öl umgestiegen – von Öl wird es dann den nächsten Umstieg geben“, sagte Chatterjee. Die Frage sei eher, welcher Brennstoff das Rennen mache. „Wir glauben, dass Methanol der neue Kraftstoff sein wird. Wir müssen die Entwicklung vorantreiben – und die Politik muss für einheitliche Wettbewerbsbedingungen sorgen.“
Voll im Plan sieht Hansjörg Kunze, VP Communication von AIDA Cruises, die Kussmundflotte von AIDA: So sei die AIDAprima kürzlich mit einer zehn Megawatt starken Batterie nachgerüstet worden – nach eigenen Angaben das bislang größte Batteriespeichersystem in der Passagierschifffahrt. „Wir wollen Antworten liefern. Wir wollen zeigen, was wir tun.“
Sönke Diesener, Verkehrspolitikreferent der Umweltschutzorganisation NABU, merkte an, dass die Kreuzfahrtindustrie, selbst wenn sie es wollte wollte, ihr „dirty work“ nicht verstecken könnte. „Wir können es in jedem Nachhaltigkeitsranking sehen." Dabei nahm er die Branche aber auch ein bisschen in Schutz: „Das Thema Kreuzfahrt findet in den Medien große Beachtung, ist aber nur ein Teil unserer Diskussion. Es geht um die gesamte Schifffahrtsindustrie, die dekarbonisieren muss.“ Er sehe, dass sich etwas in der Branche verändert habe: „Wir sind auf dem gleichen Weg – manche mehr, manche weniger.“ Aber die sonst eher langsame Schifffahrt müsse schneller werden. Diesener bezog sich aufs vorangegangene Panel und fragte: „Wenn heute schon durch die Installation von Wind-Segeln Emissionen reduzieren lassen – warum macht das dann nicht jeder?“
Kein Zweifel: Die Schifffahrt hat sich auf den Weg Richtung Dekarbonisierung gemacht – nur das Tempo könnte höher sein. Genug Ideen, um die Ziele schneller zu erreichen, gibt es. Das haben die Umweltkonferenz, aber auch die vielen Aussteller an ihren Ständen gezeigt. Es wird interessant sein, auf dem nächsten gmec in zwei Jahren von den Fortschritten zu hören.